Sustainable Finance: Die EU-Taxonomie zur ökologischen Nachhaltigkeit

Notwendigkeit einer EU-Taxonomie zur Nachhaltigkeit

Um die von der EU für 2030 definierten Klima- und Energieziele und damit die Ziele des europäischen „Green Deals“ zu erreichen, sollen im Sinne einer nachhaltigen Finanzwirtschaft („Sustainable Finance“) Investitionen insbesondere in nachhaltige Projekte und Aktivitäten gelenkt werden. Dazu bedarf es einer EU-weit geltenden, gemeinsamen Festlegung und einer eindeutigen Definition dessen, was genau als nachhaltige Investition im Sinne des „Green Deals“ zu verstehen ist.

Vor diesem Hintergrund wurde im Aktionsplan zur Finanzierung eines nachhaltigen Wachstums die Schaffung eines gemeinsamen Klassifikationssystems für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten („EU-Taxonomie“) gefordert. Hierunter sind sowohl ökologische Kriterien (environmental) als auch Kriterien der sozialen Nachhaltigkeit (social) und der nachhaltigen Unternehmensführung (governance) zu fassen. Im ersten Schritt wurden die nachfolgend beschriebenen Kriterien zur ökologischen Nachhaltigkeit veröffentlicht.

Die weiteren Leitlinien zu den sozialen Nachhaltigkeitszielen und Zielen der nachhaltigen Unternehmensführung werden derzeit durch die EU-Kommission vorbereitet. Die zuständige Arbeitsgruppe („platform on sustainable finance“) hat diesbezüglich im Februar 2022 einen Abschlussbericht veröffentlich mit Empfehlungen, wie die konkreten Ziele dieser Leitlinien erarbeitet werden sollen.

Definition von Kriterien zur ökologischen Nachhaltigkeit in der EU-Taxonomie

Die EU-Taxonomie ist ein Klassifikationssystem, das eine Liste ökologisch nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten umfasst. Die Taxonomie soll Unternehmen, Investoren und politischen Entscheidungsträgern damit geeignete Entscheidungsgrundlagen an die Hand geben, welche wirtschaftlichen Tätigkeiten als ökologisch nachhaltig im Sinne des „Green Deals“ der EU angesehen werden können.

Auf diese Weise soll die Taxonomie Sicherheit für Investoren schaffen, Investoren vor sog. „Greenwashing“ schützen sowie Unternehmen dabei helfen, klimafreundlicher zu werden.  Zudem soll eine Fragmentierung der Märkte durch unterschiedliche Vorstellungen davon, was ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten sind, abgemildert und Investitionen dorthin verlagert werden, wo sie am dringendsten benötigt werden.

Die entsprechende EU-Taxonomie-Verordnung (EU 2020/852) wurde am 22.06.2020 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und trat am 12.07.2020 EU-weit in Kraft, und zwar ohne dass es einer weiteren Umsetzung in das jeweilige nationale Recht der EU-Mitgliedsstaaten bedurfte.[1] In der Taxonomie-Verordnung werden sechs Umweltziele festgelegt:

  1. Klimaschutz
  2. Anpassung an den Klimawandel
  3. Nachhaltige Nutzung und Schutz der Wasser- und Meeresressourcen
  4. Der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
  5. Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
  6. Schutz und Wiederherstellung der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme

Aktueller Status und Weiterentwicklung der EU-Taxonomie

Auf Basis der Taxonomie-Verordnung musste die EU-Kommission eine konkrete Liste ökologisch nachhaltiger Tätigkeiten erstellen, indem sie technische Bewertungskriterien für jedes Umweltziel im Wege delegierter Rechtsakte festlegte.

Allerdings waren bis Ende 2021 nur die ersten beiden Umweltziele der Taxonomie für einige Branchen abschließend definiert, weshalb zunächst nur diese beiden Umweltziele am 01.01.2022 in Kraft traten.

Es ergeben sich ausweislich der EU-Taxonomie-Verordnung folgende übergeordnete Anforderungen an Wirtschaftstätigkeiten, die den beiden Umweltzielen entsprechen:

Ergänzend dazu wurde am 09.12.2021 die delegierte Verordnung (EU 2021/2139) zur Festlegung der konkreten technischen Bewertungskriterien der Umweltziele „Klimaschutz“ und „Anpassung an den Klimawandel“ vom 04.06.2021 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.

Diese technischen Bewertungskriterien sollen Schwellenwerte oder Leistungsniveaus festlegen, die sicherstellen, dass sich die jeweilige Wirtschaftstätigkeit für die Ziele „Klimaschutz“ und „Anpassung an den Klimawandel“ positiv auf das Klimaziel auswirkt bzw. dass sie negative Auswirkungen auf das Klimaziel mindert (z.B. Vermeidung oder Verringerung von CO2-Emissionen).

Gleichzeitig werden Kriterien angeführt, die sicherstellen sollen, dass die Wirtschaftstätigkeit „erhebliche Beeinträchtigungen“ der anderen vier Umweltziele vermeidet.

Bislang sind für folgende konkrete Wirtschaftstätigkeiten technische Bewertungskriterien festgelegt worden:

  • Forstwirtschaft
  • Tätigkeiten in den Bereichen Umweltschutz und Wiederherstellung
  • Verarbeitendes Gewerbe / Herstellung von Waren
  • Energie
  • Wasserversorgung, Abwasser- und Abfallentsorgung und Beseitigung von Umweltverschmutzungen
  • Verkehr
  • Baugewerbe und Immobilien
  • Information und Kommunikation
  • Erbringung von bestimmten freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen

Die EU-Kommission veröffentlichte am 30.03.2022 eine Empfehlung zu den technischen Prüfkriterien für die verbleibenden Umweltziele 3 – 6 der EU-Taxonomie; diese sollen bis Ende 2022 verabschiedet werden und ab dem 01.01.2023 Anwendung finden.

Diskussion zur Einstufung von Kernenergie und Gaskraft

Die Wirtschaftszweige Kernenergie und Gaskraft wurden zunächst nicht in der o.g. Verordnung aufgenommen und durch technische Bewertungskriterien eingestuft. Die Europäische Kommission hatte jedoch Ende Dezember 2021 den Konsultationsprozess zu diesen ausstehenden Einstufungen mit einer Sachverständigengruppe der Mitgliedstaaten für nachhaltiges Finanzwesen und der Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen eingeleitet.

Die EU-Kommission ist – trotz erheblicher Kritik in einzelnen EU-Staaten wie z.B. Österreich oder Deutschland – weiterhin der Auffassung, dass private Investitionen in Erdgas- und Atomkraftaktivitäten beim ökologischen Wandel eine Rolle spielen. Deshalb schlug sie vor, bestimmt Erdgas- und Atomkraftaktivitäten als Übergangstätigkeiten einzustufen, die zum Schutz des Klimas beitragen. Dies sind ausweislich der EU-Kommission Tätigkeiten, für die es noch keine technologisch und wirtschaftlich machbaren CO2-arme Alternativen gibt, die aber unter strengen Auflagen einen Beitrag zum Klimaschutz leisten und das Potenzial haben, eine wichtige Rolle beim Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft im Einklang mit den Klimazielen und Verpflichtungen der EU zu spielen, ohne dabei Investitionen in erneuerbare Energien zu verdrängen.

Die Aufnahme bestimmter Erdgas- und Atomenergieaktivitäten in die entsprechende Liste ist damit nur vorübergehend und an bestimmte Bedingungen und Transparenzanforderungen geknüpft. Da trotz kontroverser Diskussionen im Juli 2022 im Ergebnis weder das Europäische Parlament noch der Europäische Rat gegen diese Ergänzung der Verordnung gestimmt haben, treten die erweiterten Regelungen nun zum 01.01.2023 in Kraft.

[1] Gemäß Art. 288 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sind EU-Verordnungen diejenigen Rechtsakte, welche allgemeine Geltung haben, in allen ihren Teilen verbindlich sind und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gelten. Sie müssen daher von den EU-Mitgliedstaaten nicht in nationales Recht umgesetzt werden („Durchgriffswirkung“). Modifikationen der durch EU-Verordnungen vorgegebenen Regelungen durch die einzelnen Mitgliedstaaten sind demzufolge grundsätzlich nicht möglich („Umsetzungsverbot“)

Miriam Brosig

Dipl.-Ökonomin
Wirtschaftsprüferin | Steuerberaterin

Christian-Peter Lamm

Dipl.-Kaufmann
Wirtschaftsprüfer | Steuerberater

VERORDNUNG (EU) 2020/852 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 18. Juni 2020 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/2088 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:32020R0852

Delegierte Verordnung (EU) 2021/2139 DER KOMMISSION vom 4. Juni 2021 zur Ergänzung der Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates durch Festlegung der technischen Bewertungskriterien, anhand deren bestimmt wird, unter welchen Bedingungen davon auszugehen ist, dass eine Wirtschaftstätigkeit einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz oder zur Anpassung an den Klimawandel leistet, und anhand deren bestimmt wird, ob diese Wirtschaftstätigkeit erhebliche Beeinträchtigungen eines der übrigen Umweltziele vermeidet https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX:32021R2139&qid=1639037016630

https://finance.ec.europa.eu/sustainable-finance/overview-sustainable-finance/platform-sustainable-finance_en#organised